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Monthly Archives: July 2015

Knock Knock Fotostreifen A Knock Knock Fotostreifen

„Knock Knock“ fordert die Schaulustigen vor den verschlossenen Türen der Galerie auf, eine Aktion zu wählen, die dann von den beiden Performerinnen Katrin Schleifring und Antje Dudek hinter dem Schaufenster in die Tat umgesetzt wird. 

„Ay Caramba“ // „Dirty Dancing“ // „Piepsi“ // „Free Willi“ // „Megafun mit Bubblegum“ //…

35 verheißungsvolle, trashige Titel bezeichnen die Aktionen, die sich auf dem Spielfeld für die Performance finden. Viele Begriffe entstammen der Popkultur der 90er, andere wecken mehrdeutige Assoziationen. Der Besucher notiert den Aktionstitel seiner Wahl auf der Galerietür. Die Performerinnen eilen zu ihrem Materialfundus. Die Aktion beginnt.

Humor, kindliche Spielfreude, Um-Die-Ecke-Denken verbinden die Aktionen, die sich hinter den  Namenshülsen verbergen. Wir lassen uns selbst beim Performen überraschen – von widerständigen Materialien und von spontanen Einfällen, durch die wir unsere vorher skizzierten Handlungspartituren variieren.

Die Fensterscheibe wird zum Interface, das Publikum und Performerinnen trennt und gleichzeitig die unbefangene Kommunikation miteinander erleichtert. Das Ereignis entfaltet sein Eigenleben: wir erleben gemeinsames Staunen und geteilten Überschwang. Stundenlang verharren Interessierte vor dem Schaufenster; berichten einander von bereits gelaufenen Aktionen oder beratschlagen was als Nächstes geschehen soll. Passanten entdecken das unerwartete Kunstevent und halten auf ihrem Weg inne. Neun Stunden später, nachdem alle Aktionsfelder „aufgebraucht“ sind, betten wir uns auf der Matratze im Schaufenster zur Nachruhe.

Autorin: Antje Dudek //  Fotografin: Sara Siegmund

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BMI 15 Lisa Rosen IMG_7920

Wir 5 Frauen waren gut vorbereitet, ausgeschlafen, mit Taschen und Koffern voller zauberhafter Materialien ausgerüstet …. neugierig, etwas aufgeregt, erwartungsfroh.

Jede von uns geht einzeln ins Spielfeld. Nacheinander, immer etwas Zeit lassend. Tastend, sich einen Ort suchend, sich im Feld bewegend, sich platzierend. Erste intensive Beschäftigung mit uns selbst, dem Raum und dem Material… noch ist die Spielfläche leer, nur gefüllt mit farbigen Bonbons, Weckgläsern, einem Schirm, Post its.

… die Anfangsstunden des nächtlichen Tuns vergehen mit Experimenten, Materialerprobungen, ersten Annäherungen an die Mitakteurinnen. Viel schneller als erwartet füllen sich Raum und Wände. Erde kommt ins Spiel, der Klang von Sektgläsern erfüllt den Raum, Möhren gehen eine Ehe mit Schaschlikstäbchen ein, Kartoffeln über Kartoffeln werden geschält und bekommen eine skulpturale Form, Eier werden einem Diplomatenkoffer entnommen, eine Leiter wird gerückt, beklebt, bestiegen, gelegt, gezogen, gestoßen…. wird Aussichtsturm und Ruhepunkt. Dazwischen immer wieder Ruhe im Korb, halsüberkopf laufend eine halbe Figur im Feld oder in der Ecke stehend. In der ersten Nacht, in der einsamen Dunkelheit oft geschäftiges Tun neben Stillstand, leisem Erproben, warten, schauen, sitzen, ruhen – und immer wieder die Extrasession im kleinen schwarzen Schaufenster. Nah den neugierigen Blicken der erschrocken oder belustigt aufblickenden Passanten.

Mit dem anbrechenden Tag und den morgendlichen Zuschauern steigen unsere Energien. Der Tag bringt Kraft und Erfindungslust, Spiellaune und ein gehöriges Quentchen Übermut. Die Bodenfläche füllt sich rasant. Ein überbordendes Meer aus Plastikröllchen, Papierfetzen, weißen Tüten, Gläsern, Zuckerwürfeln und Möhren formt sich zu endzeitlichen Landschaften. Über sie hätten sich die surrealen Künstlerväter gefreut. Geschriebene Begriffe kämpfen sich jenseits semantischer Tiefgänge seriell an Oberflächen und lassen die inneren Stimmen lachen. Geballte Interaktionen zwischen den Akteurinnen zu zweit und zu dritt beleben den Raum und entfalten dynamische Szenerien. Weisse Händebündel geistern durch den Raum und dienen mal als Kopfschmuck, mal als Zauberwerkzeug. Immer wieder geht der Handlungstrend nach oben, auf die Heizung, zehenspitzenstehend, auf die Fensterbänke im Rücken des Raumes. Erhöhtes Sehen zwischen Wachsamkeit und Rückzug, pointierter Geschäftigkeit und erstarrter Pose. Stille. Einsicht und Übersicht und Aussicht. Konzentriertes Nicht-Da-Sein und dennoch sichtbar.

Immer wieder zieht es eine von uns in den schwarzen Kasten, sichtbar zu werden, die Strasse an sich zu binden, sich zu präsentieren oder gerade der Präsentation zu entgehen…

Im Hochgefühl des Machens und Erfindens füllt sich das Feld, kaum noch Platz zum Treten, Landschaft an Landschaft von barocker Vielfalt, kleine Welten, die um gegenseitige Aufmerksamkeit streiten. Farben treten heraus, bestimmen das Bild – ein orangener Eimer, eine wilde grüne Luftmatratze, ein Trichter, eine bunter Lackfarbenteller. Die Spielfläche – ein Feld der Möglichkeiten aber auch der kleinen Materialtode. Gurken versinken, Eier zerlaufen,

Jäh räumen wir auf. Die erste Schlacht ist geschlagen, nichts geht mehr.

Wir fangen in der Mitte der Zeit fast wieder vom Nullpunkt an. Leere. Ein Raum für Ideen öffnet sich. Zeit für neue Aktionen, erst minimal dann schnell, barock auch wild. Mit der Leere kommt eine zweite Chance. Der Versuch minimaler Aktionen. Leiser als vorher.

Doch (zu) schnell steigern sich wieder die Tempi. Die vielen Aktionen teilen den Raum, in ein vorn und ein hinten, ein oben und ein unten. Köpfe werden zur performativen Bühne, auf der Pflanzen und Türme wachsen.

Mit der Dunkelheit kommen die Gäste. Sie bringen Aufmerksamkeit und geben uns Energie. Jede Handlung wird bewusster, wohl auch lauter vollzogen. Die Spiellust steigt, die körperlichen Dialoge fordern uns heraus, lassen uns vibrieren… ein Pusten und Drehen, ein Stehen und Gehen, ein Suchen und Geben steht im Raum. Wo das Serielle entsteht, sich Ordnungen andeuten, flüstert die Geisteslust, zu zerstören.

Spürbares Ende naht. Das Publikum wird unruhig. Wir arbeiten auf den Höhepunkt hin. Stehen, sich drehen, tragen, sitzen. Posen und Positionierungen arbeiten auf das Ende hin, welches dann plötzlich eintritt.

Kurze Ruhe – dann brausender Beifall. Wir sind glücklich und fühlen uns wie aus der Bahn geworfen – erlöst, aber auch mit dem Mangel des Draußenseins, des Endes, des baldigen Alleinseins behaftet.

Autorin: Marie-Luise Lange